Die vorletzte Praktikumswoche war ziemlich kurios, also im positiven Sinne. Bis Mittwoch habe ich auf der Suche nach Nachlassverzeichnissen wieder das Magazin auf den Kopf gestellt und zwischendurch an dem Vortrag weitergebastelt.
Donnerstags durfte ich dann in die Restaurierung: Hatte bereits mehrmals darum gebeten und diese Woche endlich mal grünes Licht bekommen. Da es hier auch viele alte Archivalien gibt und mir im Magazin schon öfter halb zu Staub zerfallene Bücher über den Weg gelaufen sind, habe ich irgendwie Interesse an Schadensbildern gefunden. Und auch weil die beiden Kolleginnen, die in der Werkstatt arbeiten total cool sind.
Die haben den Laden hier richtig gut unter Kontrolle und passen auf wie die Schießhunde, dass alles archivgerecht behandelt und aufbewahrt wird. Die Akten zur Nachtruhe im Büro zurückzulassen ist streng verboten. Es gibt auf jeder Büroetage kleine Zwischenlager mit einem zumindest halbwegs vertretbaren Klima, in denen die Akten, Bücher und was sonst noch so anfällt, die Nacht verbringen dürfen. Es wagt auch niemand, eine ganze Wagenladung mit Aktenmaterial auf einmal in sein Büro zu karren. Die schwedischen Eichhörnchen ernähren sich mühsam, aber archivgerecht.
Jedenfalls sind die Schadensbilder hier ziemlich die gleichen. Aber die haben sehr viel mit Silberfischen (meine Vermieterin hält sich die übrigens als Haustiere) zu kämpfen. Die fressen sich so richtig schön satt an dem Papier und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Ich frage mich, wie so ein kleines Etwas es schafft, fast ein komplettes Buch zu vernichten. Und das einzige, das man dagegen tun kann, ist für ein angemessenes Klima zu sorgen, obwohl die eine Silberfischsorte sich auch von kalter und einigermassen trockener Luft nicht abschrecken lässt.
Aber Gift kommt ja zum Schutz vor Mensch und Archival auch nicht in Frage, also ist man der robusten Ungezieferart momentan hilflos ausgeliefert.
Wie bei uns gibt es hier an jeder Ecke Hygrometer, damit den beiden Kontrollfreaks nicht die kleinste Veränderung von Luftfeuchtigkeit und Temperatur entgeht. Aber die haben sich auch noch was anderes einfallen lassen, um das Klima langfristig auswerten zu können. Und zwar werden hier regelmässig Insektenfallen aufgestellt. Aber nicht, um die Viecher loszuwerden, sondern für das Klimaprotokoll des Magazins. Das Prinzip ist ganz einfach: Viele Insekten = schlechtes Klima, wenige Insekten = gutes Klima. Da brennt einem dann natürlich die Frage unter den Nägeln, was das Ganze soll, wenn es doch die Hygrometer gibt. Zwischen den Zeilen der Antwort meine ich herausgehört zu haben, dass es sich auch um eine Art inoffizielle, naturwissenschaftliche Studie über die Lebensbedingungen der schädlichen Magazinbewohner handelt. So richtig kapiert hab ich das noch nicht, aber wollte die beiden auch nicht in Verlegenheit bringen mit ihren komischen Experimenten.
Zum Schluss erzählte mir Sara, die Chefin der Werkstatt, noch von einem Zeitungsartikel über das heutige Mauerfalljubiläum, den sie gelesen hatte. Der lag dann Freitagfrüh auf meinem Schreibtisch und wartet nun darauf, übersetzt zu werden. Ist ja nicht gerade unspannend, was im Ausland so über die Heimat berichtet wird.
Eine andere Kollegin, Ann-Christin, mit der ich oft zusammen Lesesaalaufsicht hatte, hat mir erzählt, dass unsere Länder bis zum Zweiten Weltkrieg ein Herz und eine Seele waren und es dann nach der kriegsbedingten Trennung nochmal miteinander versucht haben. Dass es plötzlich zwei Deutschlands gab, hat die Schweden damals auch ganz schön beschäftigt. An die Berichterstattung über den Mauerbau konnte sich Ann-Christin auch noch erinnern. Die klang offenbar ungefähr so: „Erst Hitler und nun sowas, jetzt sind die Deutschen völlig verrückt geworden.“
Freitagnachmittag hatte ich noch einen Termin bei Roland, dem IT-Experten. Der ist auch schon etwas älter. Sein Bruder Lennart hat Anfang der 60er Jahre in Lübeck gearbeitet und war auch mal in Berlin unterwegs. wo er Fotos vom Bau der Mauer und alliierten Soldaten gemacht hat. Roland hat mir einige dieser Fotos gezeigt. Hätte ich ja nie mit gerechnet, dass mir ein Schwede mal was über den Mauerbau erzählt. Irgendwie ironisch, aber sehr beeindruckend.